Am 14. Oktober 2019 verstarb im Alter von 80 Jahren Helmar Bauer, der langjährige Präsident der Frauensektion des FC Blue Stars. Mehr als 50 Jahre lang hatte er massgeblichen Anteil daran, dass der Frauenfussball in Zürich und in der Schweiz sich entwickeln konnte und mittlerweile seinen festen Platz in der Sportwelt des Landes gefunden hat. Entspre-chend gross war die Anteilnahme bei der Abdankungsfeier auf dem Friedhof Manegg, wo der Zug der Trauernden lang war wie selten bei einem solchen Anlass. Nicht nur Angehörigen, Freunden und Funktionären, sondern auch vielen Spielerinnen und Juniorinnen war es ein Bedürfnis, von «ihrem» Helmi Abschied zu nehmen.
Franz Betschart / Patrick Reymond / Roger Weber
Es begann 1968
Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fristete der Frauenfussball ein Mauerblümchendasein. Vielerorts war es Frauen gar verboten, Fussball zu spielen, auch wenn man sich das heute kaum noch vorstellen kann. Helmar Bauer waren die Kritiker und Spötter egal – die männliche Form wird hier nicht zufällig verwendet. Um seiner Freundin das Fussballspielen zu ermöglichen, half er 1968 mit, den DFC Zürich zu gründen. Seine freundliche Wesensart, gepaart mit grosser Beharrlichkeit, halfen ihm bei diesem Unterfangen. In den 60er Jahren gab es Frauen im Schweizer Fussball zunächst nur bei Grümpelturnieren, und zwar in 6er Teams. 1967 organisierte Helmi, damals Juniorenobmann des FC Industrie, in diesem Kontext Trainings für das Team, bei dem auch seine damalige Freundin mitspielte. Die Stadt Zürich gab sich schon damals als Sittenwächterin und wollte den Frauen zunächst keine Sportplätze zuteilen, weil es keine separaten Duschen gab. Schliesslich konnten aber im Juchhof Baracken erstellt werden, die als Garderobe dienten. Bei der Gründung des DFC Zürich – dem ersten reinen Frauenfussballverein in der Schweiz – im Frühling 1968 waren ausser Helmi und seinem Team die Familien Moser und Kretz involviert, die selber fussballbegeisterte Töchter hatten. Dem Schweizerischen Fussballverband waren der DFCZ und andere neu gegründete Frauenfussballklubs zunächst nicht ganz geheuer. Während der ersten Meisterschaftssaison 1971 entschied der SFV, dass für die Frauenmeisterschaft fortan nur Teams zugelassen werden sollten, die einem existierenden SFV-Männerverein angehörten.
Frauensektion des FC Blue Stars Zürich und FC Blue Stars Zürich Frauen 1968
Folge davon war eine Spaltung des DFCZ. Etwa ein Viertel der Spielerinnen schloss sich dem FC Zürich an und gründete dort das erste Frauenteam, dessen Spuren sich nach einem fulminanten Start um die Ski-Legende Marie-Theres Nadig (Doppelolympiasiegerin 1972 in Sapporo/Japan) in den 80er Jahren verloren. Der FCZ nahm sich des Frauenfussballs ab 2005 wieder an. Aus dem ehemaligen SV Seebach entstanden die FC Zürich Frauen, die heute eine Abteilung des FCZ sind und den Frauenfussball in der Schweiz dominieren.
Die grössere Gruppe des DFCZ um Helmar Bauer trat indessen 1971 dem FC Blue Stars bei. Anders als die Männer waren die Frauen dort bis 2019 als eigenständige Sektion organisiert, und zwar immer mit Helmar Bauer als Präsident. Als der FC Blue Stars Zürich 1898 und die Frauensektion im Jahr 2019 einvernehmlich beschlossen, die Frauensektion als FC Blue Stars Zürich Frauen 1968 wieder in einen eigenständigen Verein zu verwandeln, wurde Helmar Bauer auch der erste Ehrenpräsident des neuen Klubs.
Unter Helmar Bauers Führung entwickelte sich die Frauensektion des FC Blue Stars zu einer der grössten Juniorinnenabteilungen für Mädchen in Zürich und in der Schweiz. Helmi war von Anfang an mit viel Herzblut dabei als Trainer, Präsident, Finanzchef – kurz: er war die «One Man Show» des Klubs. Sportlich gehörten die Blue Stars Frauen und Juniorinnen zunächst zur Spitze des Landes, bis sich die Grossklubs im Frauenfussball engagierten und das für den Erfolg unverzichtbare Spitzensport-Umfeld schufen. Helmar Bauer war es auch nach dem Wandel wichtig, dass der Frauenfussball bei den Blue Stars hohen Qualitätsansprüchen genügte und sich nicht nur dem Breitensport verschrieb, sondern dank einem leistungssportlichen Ansatz den überdurchschnittlich talentierten Spielerinnen des Klubs auch als Sprungbrett in den Spitzensport dienen konnte.
Helmar Bauer war während vieler Jahre ein einsamer und grosser Kämpfer für die Rechte der Frauen im Fussball, auch wenn er dies nie dogmatisch oder gar radikal machte. Vielmehr bot er eine Plattform, wo Mann und Frau sich versuchen und mithelfen konnten, die «Bewegung» weiterzuentwickeln. Heute ist es einfach, im Frauenfussball tätig zu sein. Dieser erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Man(n) kann sich sogar Lorbeeren holen – aber als Helmar als Pionier voranging, war dies oft noch mit Kritik, manchmal auch mit Spott und Hohn verbunden. Daher kann man seine Leistung und seinen Willen für die Frauen im Fussball nicht genügend hoch einschätzen. Er war ein Vorbild, wie man auch dann etwas mit Überzeugung und Willen angehen kann, wenn es dafür nicht die grosse Presse gibt.
Ausserordentlich waren Helmis Bemühungen um die Finanzen der Sektion, eine wahre Sisyphus-Arbeit. Er kümmerte sich neben dem Präsidentenamt persönlich darum, suchte Sponsoren und Spender und gründete auch den «100er Club». Legendär war sein Kässeli – ein Sparschwein, mit dem Helmi bei jedem Heimspiel des Frauen 1 alle Zuschauer einzeln begrüsste und um eine Spende bat. Selbst bei den zuschauenden Juniorinnentrainern machte er die Runde. Hätte es die Finanzlage erfordert, so wären wohl auch die Spielerinnen vom Kässeli nicht verschont geblieben. Auch bei angespannter Finanzlage hatte Helmi aber ein grosses Herz. Wenn ein Team irgendetwas brauchte, war immer ein „Batzen“ da, insbesondere auch für Spielerinnen, welchen es finanziell nicht so gut ging. Er machte auch kein Geheimnis daraus, dass seine Finanzaktivitäten über die Jahre zu einem „Notkässeli“ geführt hatten, welches in besonderen Situationen zum Einsatz kam, etwa um der einen oder anderen Spielerin ein Trainingslager zu ermöglichen, wenn die Eltern nicht alles selber bezahlen konnten.
Mehr als ein Fussballklub
Helmar war mit seiner Frau Irene Bauer oft bei allen Teams im Training und bei den Spielen zugegen, und zwar auch noch, als der Staff um Patrick Reymond und Franz Betschart ihn von seinen Trainer- und auch von vielen seiner Funktionärsaufgaben entlastet hatten. Für die Spielerinnen war er der gute Geist des Klubs, auch für die Jüngsten: Einmal hatte ihn der Trainer der E-Juniorinnen seinen Spielerinnen als Präsident des Klubs vorgestellt. Eine Woche später begrüsste eine Spielerin Helmi irgendwie folgerichtig mit: «Grüezi Herr Obama». Es war typisch für Helmi, dass ihm bei dieser Anrede nicht ganz wohl war.
Auch in Trainingslagern oder an den Trainer-Weiterbildungswochenenden TWW war er mit von der Partie und half mit, die gesellige, ja familiäre Atmosphäre zu schaffen, welche für die Blue Stars Frauen und Juniorinnen bis heute charakteristisch ist. Unvergesslich sind die zahllosen tollen und gemütlichen Stunden, welche Spielerinnen, Funktionärinnen und Funktionäre mit unserem grosszügigen und weitsichtigen Präsidenten verbringen durften, die nicht selten in jene «dä Blue Stars zahlt eis» – Momente mündeten, im Hardhof, an den Neujahrsapéros im Albisgüetli oder nach grossen sportlichen Erfolgen in den verschiedenen Wettbewerben im Restaurant «Da Cono» beim Letzigrund. Die prägendste Erinnerung bleibt aber, dass Helmar die Dankbarkeit des Vereins gegenüber den Helferinnen und Helfern, den Trainerinnen und Trainern immer sehr wichtig war. Wertschätzung ging ihm über alles – durch ihn ging sie auch den übrigen Klubmitgliedern in Fleisch und Blut über. Das hallt bis heute nach und macht den Kluballtag bei den Blue Stars Frauen zur schönsten Nebensache der Welt.
Die Dankbarkeit des Vereins kam auch beim Abschied von Helmi an jenem 23. Oktober 2019 im Friedhof Manegg zum Ausdruck: Wer dabei war, wird nie vergessen, wie eine nicht enden wollende Schlange von Klubangehörigen jeden Alters an Helmis Grab vorbeizog und in der Kapelle dem Gottesdienst und den Würdigungen von Patrick Reymond und Franz Betschart lauschte. Sogar das Klublied passten Sportchef Patrick Reymond und Torhüterinnen-Trainer Roger Bär für Helmi an. Vor dem 1. Liga-Spiel des Frauen 1 gegen den FC Wil am 27. Oktober 2019 wurde es erneut abgespielt. Es passt wunderbar an den Schluss dieses Beitrags: